Party Set up nach Wunsch

Südwest fünf bis sechs – so lautete am vorvergangenen Wochenende die Wettervorhersage für die östlichen Boddengewässer. Keine Bedingungen für den Start der Jungfernfahrt des Seminarschiffes “Orca ten Broke”, des ersten klimaneutralen Fahrgastschiffes, das mein Mann Felix vor fünf Jahren konzipiert und nun auch realisiert hat!
Das Schiff zeichnet sich durch einige Raffinessen aus, die es in der Binnenschiffahrt bislang noch nicht gegeben hat. So bezieht es seine Energie entweder aus der Sonne oder aus gebrauchtem und gereinigtem Pflanzenöl. Es kann also das ganze Jahr über fahren und verschmutzt die Umwelt nicht mit Dieselkraftstoff. Außerdem kann das Schiff mit seinen sechs Meter langen Ankerpfählen auf dem Wasser parken, also an vielen schönen Stellen ganz still in der Natur liegen.
Die Tage vor der Jungfernfahrt hatte mein Mann fast durchgängig auf dem Seminarschiff verbracht, um die letzten Arbeiten zu verfolgen. Die ersten Fahrtests waren erfolgreich verlaufen. Doch richtig fertig war die „Orca ten Broke“ nicht, als Felix am 10. August von der Stralsunder Werft Ostseestaal deren Schlüssel überreicht bekommen hatte. Dennoch musste er mit dem Seminarschiff schnell wie möglich nach Berlin fahren, denn am Freitag, den 18. August wollten die ersten Kunden dort ihre Party feiern.
Nun spielte weder am Samstag, den 12. August noch am Sonntag, den 13. August das Wetter mit: Das Seminarschiff hatte nämlich für die Fahrt von der Stralsunder Werft zum Berliner Heimathafen eine schifffahrtspolizeiliche Genehmigung bekommen. Diese erlaubte dem Binnenschiff aber nur bei Windstärken bis zu vier Beaufort, den Greifswalder Bodden zu queren.
Am Montagmorgen hatte sich die See beruhigt, spiegelglatt präsentierte sich der Greifswalder Bodden. Zehn Personen starteten zur Jungfernfahrt, darunter die gesamte Familie Eisenhardt und – ganz wichtig – ein Schiffsingenieur von der Werft, unser Mann für alle Fälle. Doch kurz bevor wir die Ariadne erreichten, so nennt man dort die zentrale Ansteuerungstonne, fiel plötzlich die Leistung des Elektromotors deutlich ab.
Woran konnte das liegen? Der Mann für alle Fälle zog den Telefon-Joker: Per Fernwartung erkannte ein in Schleswig-Holstein befindlicher Ingenieur, dass die Energie für den Motor aus den Batterien entnommen wurde und nicht aus dem Generator. Schnell wurde der Fehler behoben und weiter ging es mit sieben Knoten, das sind etwa 14 Stundenkilometer, in Richtung Wolgast. Bei der Ansteuerung nach Stettin merkten wir, wie sinnvoll es gewesen, die Eingangstüren gegen Seeschlag zu schützen: Die Welle eines riesigen Frachters klatschte gegen die verblendeten Scheiben.
Kurz vor Einbruch der Dunkelheit machten wir am Bulvar Piatkovski fest. Von nun an forderten uns nicht mehr Wind und Wellen, sondern niedrige Brücken und enges Fahrwasser. Bereits die erste Brücke nach dem frühmorgendlichen Ablegen war mit 3,70 Metern extrem niedrig. 60 Tonnen Wasser in den Ballasttanks bewirkten, dass sich die “Orca ten Broke” auf 3,40 Meter Fixpunkthöhe duckte.
Da der Füllstandsanzeiger des Kraftstofftanks zu den Dingen gehörte, die noch nicht eingebaut worden waren, beschlichen uns Zweifel, ob die Reserven reichen würden. Wir hielten an der MBS-Schiffstankstelle in Hohensaaten. Was am Dienstagnachmittag als kurzer Zwischenstopp geplant war, geriet zum fast 24-stündigen Aufenthalt: Der Motor sprang nicht mehr an. Während an Bord die Fehlersuche begann, widmete ich mich gemeinsam mit einer Mitarbeiterin von Felix, einer erfahrenen Event-Trouble-Shooterin, der Nahrungsbeschaffung. Nicht so leicht in dieser Einöde. Dank doppeltem Charme mussten wir nicht sieben Kilometer durch den Wald zum nächsten, in Oderberg gelegenen Supermarkt laufen, sondern trampten bequem auf den Ladeflächen zweier Lieferwägen.
Unterdessen benachrichtigte Felix den Notdienst des Motorenherstellers Deutz. Er bangte, ob er es noch schaffen würde, das Schiff rechtzeitig nach Berlin zu bringen, es zu putzen, mit Tischen und Stühlen einzurichten sowie das Catering aufzubauen, um am Freitag um 15 Uhr die ersten Gäste aufzunehmen?
Am Mittwoch Mittag konnten wir die Fahrt mit einem neuen Anlasser fortsetzen. An Bord befanden sich nun auch die Elektriker, Klempner, Schweißer und Innenausbauer von der Werft Ostseestaal: Sie sägten, schraubten und schweißten während die “Orca ten Broke” Kurs nach Niederfinow zum Schiffshebewerk hielt. Es war beeindruckend, wie sie in einer Wasserwanne 19 Meter in die Höhe gehoben wurde. Die Mannschaft stellte sich aufs Vorschiff und genoss das Schauspiel.
Dann arbeiteten die Handwerker weiter. Noch in den frühen Morgenstunden befestigten sie die Stützen für das Geländer der geschwungenen Treppe, die aufs Deck führt: Ohne diese würde die Schiffsuntersuchungskommission niemals eine vorläufige Genehmigung erteilen. Nur wenige Stunden nachdem die letzte Schweißnaht gesetzt worden war, kamen an der Lehnitzer Schleuse die beiden Prüfer an Bord.
Am Donnerstag freuten wir uns um 13.30 Uhr über die vorläufige Genehmigung der Schiffsuntersuchungskommission, um sofort wieder einen Dämpfer zu erfahren: Erneut sprang der Motor nicht an. Ein systematischer Fehler? Die an Bord anwesenden Ingenieure prüften und schlossen diesen aus, während alle Hoffnungen ins Bodenlose sanken. Um 17.50 Uhr konnte ich folgende SMS verschicken: “Motor läuft, wir legen gleich ab. Emotionale Achterbahn!”
Gab es für die erste Veranstaltung auf der „Orca ten Broke“ noch den Hauch einer Chance? Am Donnerstag passierten wir kurz vor dem 22-Uhr-Feierabend die Schleuse in Berlin-Charlottenburg. Gegen Mitternacht legten wir auf Alt-Stralau an. Sofort tauschten wir Reisegepäck und Müll gegen Staubsauger und Wischmob, um das Schiff vorzeigen zu können.
Am nächsten Tag sprang der Motor so selbstverständlich an, als würde in ihm nicht der dritte Anlasser seinen Dienst versehen. Die ersten Gäste waren zufrieden und wollen wiederkommen.
Danke an alle, die dabei waren und an diejenigen, die von Ferne mit uns gebangt haben!
Wir atmen jetzt mal ein bisschen durch.